12.09.2016

New Orleans

Die Stadt macht es einem nicht leicht. Zum einen, wenn man aus dem Zug steigt, der wie alle Amtrak-Züge, tiefgefroren ist, aber auch wenn man aus dem ebenso kühlen Flughafen-Gebäude kommt, und man  dem Waschküchenklima ausgesetzt ist. Ich wollte nach Ankunft des Zuges am Bahnhof ein paar Photos machen. Es ging nicht. Die Kameralinse war total beschlagen. Und zum anderen kommt man ja nicht da an, wo die Stadt durchaus ihren Charme hat. Den hat sie aber schon.

New Orleans, French Quarter

Laubsägelistil im French Quarter

Bei meiner ersten Ankunft mit dem City of New Orleans, mit dem man am östlichen Ufer des Lake Pontchartrain entlang und dann natürlich in die üblicherweise wenig einladenden Vorstadtquartieren Einblick bekommt und der Zug mit Spitzkehre rückwärts in den Bahnhof Union Station geschoben wird – auch hier eine eindrückliche mit Fresken geschmückte moderne Bahnhofhalle und dann mit der Taxifahrt durch die modernen Hochhausquartiere, war der Eindruck durchmischt. Bei der Ankunft im Hotel im French Quarter oder vieux carré an der Burgundy Street hat sich das schon ein bisschen geändert. Bei meiner zweiten Ankunft auf dem Flughafen hatte ich dann eine Taxifahrt mit einem Griechen, der mir erzählte, wie er für einen griechischen Freund am Abend Moussaka machen werde, und mir dabei den Anblick von der Autobahnbrücke aus die Friedhöfe verpassen liess, war schon anders. Heiss und feucht war es immer noch, aber man bekommt Lust auf die Stadt.

New Orleans

Lauben gibt es nicht ur in Bern, French Quarter

Bei meinem zweiten Aufenthalt war ich in einem Hotel am nordwestlichen Rand es French Quarter an der Rampart Street. Um die Ecke zwei Block südlich gibt es ein gutes Restaurant, eatNO, das mit jenem in Kanab UT durchaus konkurrieren kann. Ich war in der Zeit, während der ich auf mein Schiff warten musste, ein paar Mal dort und habe jedes Mal unkonventionelles, aber sicher hervorragendes gegessen. Einen Fehler hat das Lokal: man muss seine Wein oder sein Bier mitbringen, was mir zu kompliziert war – ich habe das dann jeweils nach dem Essen an der Hotelbar nachgeholt. Was für das gute Essen in dem Restaurant schade ist, da ein gutes Glas kühlen Weissweines oder ein gut chambrierter Rotwein die Raffinesse der Kochkünstler noch hervorheben würde.

New Orleans, French Quarter

Royal Street, French Quarter

Das French Quarter oder vieux carré ist die Altstadt bzw. das was von ihr noch übrig bleibt. Es wird nordwestlich von der Rampart Street, südwestlich von New Orleans‘ „Bahnhofstrasse“, der Canal Street und südöstlich von French Market und den Deich zum Mississippi begrenzt. Es besteht aus meist alten Häusern aus Holz, die z.T. mit Laubsägedekorationen versehen sind, oder Backsteinbauten, alle häufig einstöckig, zweistöckig höchstens dreistöckig und viele mit reich verzierten gusseisernen Balkonen versehen, von denen es immer tropft, weil die Pflanzen gegossen werden. Die Grundrisse sind alle relativ schmal, vielleicht acht bis 10 Meter, aber in der Tiefe vielleicht 20 Meter, der seitliche Abstand zwischen den Häusern vielleicht einen bis eineinhalb Meter. Viele Häuser scheinen leer zu stehen, andere sind schön renoviert und manchmal erhascht man einen Durchblick in die Gärten hinter den Häusern. Das Quartier war von Katrina offenbar nicht betroffen. Ich könnte mir vorstellen, dass man da durchaus etwas Lebenswertes finden könnte.

New Orleans

New Orleans

Die wohl bekannteste Strasse ist die Bourbon Street, die sehr an die Langstrasse erinnert – die Anmache der Restaurants und anderer Gewerbe, wenn man da durchläuft, ist aber deutlich aggressiver und da auch jeden Lokal eine laute Livemusik – Jazz, Blues und Rock – tönt, ist es auf der Strasse eine einzige Kakophonie, das allerdings nur am späten Nachmittag und Abend, jeweils am Morgen ist nichts los.

New Orleans, Bourbon Street

Bourbon Street

Am südöstlichen Rand liegen der French Market, der Jackson Square, ein kleiner Park und die St. Louis-Kathedrale. Hier gibt es alle Arten von Läden, z.B. einen Harley Davidson Shop, Galerien und vieles mehr, auch Restaurant mit etwas ruhigerer Live Music, Jazz, und das offenbar berühmte Café du Monde, wo man einen Cappuccino trinken und die Beignets essen soll. Ich habe ein Beignet bestellt, das ist ein leichtes Teiggebäck mit Puderzucker überstreut, eines heisst hier vier Stück davon unter Bergen von Puderzucker – man wundert sich nicht, dass viele Menschen hier so aussehen, wie sie aussehen, aber darüber ein andermal mehr. Gut sind sie schon, die Beignets, aber eines wäre definitiv ausreichend. Ich wollte einen Espresso dazu, aber so wenig Kaffee kann man hier nicht bekommen.

New Orleans

Live Jazz den ganzen Tag im French Market

New Orleans

Café du Monde

Zwischen dem French Market und dem Deich zum Mississippi verlaufen eine Bahnlinie mit Normalspur, auf der Güterzüge, auch Nachts wild hornend, zum Hafen fahren, und eine Tramlinie – hier Streetcar genannt – deren Spurweite (siehe http://www.a-bis-zet.ch/reiseblog2010/spurweiten) offensichtlich etwas breiter ist, wie sich herausgestellt hat nämlich 1588 mm, also noch breiter als die russische Spurweite und nur noch in weniger anderen Strassenbahn-Betrieben der USA gebräuchlich. Dieses Tramnetz war bis auf eine Linie, die St. Charles-Avenue-Linie, die als „Historic Landmark“ erhalten blieb, eingestellt und wird seit 1988 mit der Eröffnung der kurzen River Front-Linie wieder ausgebaut. Seit 2004 verkehren die Streetcars wieder in der Canal Street – von neuem unterbrochen durch Katrina – zum City Park und den Friedhöfen und seit 2013 zur Union Station, wo zwar pro Tag nur je ein Zug ankommt und abfährt, aber heute von Greyhound als Busterminal benutzt wird. Die nächste Netzerweiterung durch die Rampart Street in die nördlichen Quartiere ist für Herbst 2016 angesagt. Die Linie ist fertig gebaut, aber noch nicht in Betrieb. Die neuen Linien werden mit neuen, alten Stil gebauten Triebwagen betrieben. Für mich war das eine gute Gelegenheit, die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes zu er-„fahren“.

New Orleans, French Quarter

Maultier-Rischka im French Quarter; es gibt auch von Menschen angetriebene Rischkas

Die St. Charles-Avenue-Linie wird hauptsächlich mit Triebwagen von 1924 betrieben, mit dem klassischen Sound alter Trams mit heulenden Motoren und dem hechelnden Ton des Druckluftkompressors. Nicht das ist die hauptsächliche Attraktion der Linie, es sind die durchfahrenen Quartiere des Garden District und von Carollton. Hier gibt es viele wunderschöne Häuser im Kolonial- und allen möglichen anderen Stilen, viele mit prächtigen üppigen Vorgärten und mit Grünzeug richtiggehend überbordenden Geländern, ein Traum für jeden Pflanzenliebhaber. Hier wird auch jemand ohne grünen Daumen ein Erfolgserlebnis haben können, dank dem feuchtwarmen subtropischen Klima. Eindrucksvoll aber auch die Allee von alten Eichen mit ihren breit ausladenden Kronen, auf deren Ästen sich vermutlich eine kleine Farnart als  Epiphyt ansiedelt, das Ganze ein perfekter Sonnenschutz.

New Orleans, Garden City--Carolltown

Garden City, Carolltown

RTA, New Orleans, S. Carrollton at S. Claiburn

Das alte Tram in Carrollton

Eine weitere Spezialität von New Orleans sind die Friedhöfe mit den z.T. monumentalen Grabmälern, die ja auch in verschiedenen Filmen Kulisse oder gar Teil der Geschichte sind, z.B. in Easy Rider, Down by Law und viele andere. Einer der Gründe liegt darin, dass man hier die Verstorbenen nicht wie bei uns begraben kann, da sie in den schweren tonhaltigen ehemaligen Sumpfböden nicht verwesen würden. Es gibt da offenbar eine paar Berühmtheiten, die man posthum besuchen kann, wenn man will und wenn einem nicht der nachmittägliche Gewittersturm einen Strich durch die Rechnung macht.

New Orleans, Cemeteries

Einer der Cemeteries

RTA, New Orleans, Canal Street

New Orleans, Canal Street

Ich habe kein Museum besucht und auch kein Konzert und trotzdem kann ich New Orleans empfehlen. Die Stadt erschliesst sich einem leichter, als es auf den ersten Eindruck zu erwarten wäre und m.E. leichter als manche andere amerikanische Stadt. Die auch hier und in einem relativ kleinen Umfang  vorhandenen Wolkenkratzer, die nach Ansicht mancher das „Urbane“ ausmachen sollen und allenfalls eine gute Kulisse abgeben, wenn man NOL mit dem Schiff auf dem Mississippi verlässt, stören dabei nicht gross. Den Charme der Stadt machen sie nicht aus. Und mir ist eine Stadt mit Charme lieber als eine „urbane“.

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New Orleans vom Mississippi aus

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