26.08.2016

Nachtzug

Nachtzugreisen sind etwas Besonderes, wenigstens für mich. Im Zug wach oder schlafend durch die Nacht zu rasen, wenn man das was draussen vorbei zieht nur ahnen kann, hat etwas magisches. In Europa wird das ja immer schwieriger: die europäischen Bahnen wollen allenthalben aus dem Nachtzugverkehr aussteigen. Sie machen damit einen Fehler. Das Besondere eine Bahnreise, zumal in der Nacht, gibt es nicht mehr. Hier in den USA ist das noch möglich und für die weiten Distanzen gibt es meist gar keine Alternativen, wenn man nicht fliegen will.

Hier steigt man am Abend in Denver in den Zug, nachdem man in der Union Station geduldig auf das Eintreffen des Zuges gewartet hat. Die Union Station ist , wie viele andere Bahnhöfe etwas grösserer Städte in den USA, ein eindrucksvolles Bauwerk aus einer Zeit als die Bahnen hierzulande noch eine wichtige Rolle spielten. Allerdings wird einem in der architektonisch bemerkenswerten, schönen Bahnhofshalle schon ein bisschen wehmütig. Da wo sich früher Ankommende getroffen und Abreisende verabschiedet haben, da wo man früher Gepäck aufgab und Fahrkarten kaufte, in diesen ehemaligen Tempel des Reises, stehen heute Sofas und Stühle – was das Warten durchaus angenehm macht – aber dort wo früher vielleicht „Tickets to California“, „Tickets to Chicago“ usw. stand, steht heute „Burgers“, „Sandwiches“ und  „Bratwurst“. Das Ticket Office von Amtrak und die Stelle, wo man sein Gepäck aufgeben kann, liegen ganz verschämt und geduckt in einem niedrigen Nebengang, dort wo es auch zu den Toiletten geht. Das passt allerdings zu der Tatsache, dass für die beiden Fernverkehrszüge, die hier noch verkehren, den California Zephyr mit den Zugnummern 5 westwärts und 6 ostwärts, ein einziges Gleis vollauf genügt. Nichts desto trotz kommt man auf die Idee, dass die schöne Halle ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt vielleicht einer Tempelreinigung bedürfte, vermutlich ein Wunschdenken eines Gestrigen.

Zephyr ist ein griechischer Gott des Windes, der vom Berg kommt. Mein California Zephyr Nr. 6 kommt vom Berg: dieser Zug hat bis hierher schon verschiedene Bergzüge überwunden. Der letzte war die Front Range der Rocky Mountains, die man Denver aus gut sehen kann. Er ist gar eine Stunde zu früh! Auch eine Methode, wie man die Verspätungsstatistik schönen kann. Einsteigen in einen dieser Langstreckenzüge heisst hier in den USA, Schlange stehen, auf jeden Fall, wenn man kein Schlafwagen-Billet hat. Letztere können und so auch ich, in einer eigenen Schlange, die natürlich viel kürzer ist, schnell einsteigen und ihr Abteil, für mich eine sog. Roomette, aufsuchen und sich einrichten und gespannt darauf warten, dass sich der Zug in die Nacht hinein in Bewegung setzt.

Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung. Langsam sucht er sich seinen Weg durch das Gleiswirrwarr und die von der tiefstehenden Sonne beleuchteten Vorstadthässlichkeiten. Langsam beschleunigt sich der Zug. Bei einem Blick zurück zeigt sich die Skyline von Denver nochmals. Die Frontrange im Hintergrund lässt sich nur erahnen. Die Stadt franselt langsam aus Buy Ciclonal Doxycycline , kleine Häuser, Motels, Autowerkstätten und Läden wechseln ab bis dann nur noch Wiesen und die Prärie übernehmen. Plötzlich tauchen dann wieder neue Retortenquartiere aus grauen Neubau-Einfamilienhäusern auf, schon recht weit weg von der Stadt. Auch diese geben im Kampf gegen die Prärie auf, die mittlerweile ganz flach ist und gegen Westen von den letzten Strahlen der Sonne beleuchtet wird. Langsam geht der intensiv farbigen Abendhimmel in die Dämmerung über. Ich weiss nicht, inwieweit dieses Lichtspiel für den magischen Effekt der Nachtzugreise mit verantwortlich ist, da dieses bei schlechtem Wetter ja gefährdet würde. Das ist die Zeit, den Speisewagen aufzusuchen.

Speisewagen in amerikanischen Zügen funktionieren anders als in Europa. Man wird gesetzt. Man kann sich seinen Sitzplatz nicht selber aussuchen. Und dann ist man sofort verpflichtet, sich den Tischgenossen vorzustellen und sich mit ihnen zu unterhalten. Das kann interessant, vergnüglich, aber  u.U. auch eher mühsam sein. Aber der Speisewagen gehört zum Nachtzugritual, nicht zuletzt weil alle Mahlzeiten im Preis inbegriffen sind.

Wenn man in sein Abteil zurück kommt, ist es mittlerweile dunkel, nur noch ein dünner Streifen am westlichen Horizont zeigt noch Reste des vergangenen Tages. Der Schlafwagen-Kondukteur hat inzwischen das Bett, oder vielleicht besser die Liege bereit gemacht. Es ist eng, aber die Liege ist genug lang. Und dann beginnt der lange Prozess des Einschlafens. Je nach Gleiszustand bewegt sich der Schlafwagen mehr oder weniger. Die rhythmischen Schläge der Schienenstösse tun das ihrige. Man beginnt zuerst wach zu träumen und hat schliesslich den Eindruck, man würde kein Auge voll Schlaf bekommen. Tausend Gedanken gehen einem durch den Kopf, von heute, von gestern oder aus der tiefen Vergangenheit, oder auch Fragen, was man in den nächsten Tagen zu erwarten hat. Und doch, wenn man mitten in der Nacht aufwacht, stellt man fest, dass die Zeit einen Sprung von zwei drei Stunden gemacht hat. Man schaut kurz hinaus in die Dunkelheit, fragt sich, wo man ist, sieht vielleicht ein Licht, schemenhaft eine Landschaftsform und versucht weiter zu schlafen im angenehmen Bewusstsein, dass man, auch wenn  man schläft, weiter kommt.

Man wacht wieder auf, diesmal weil es plötzlich still ist, kein Fahrgeräusch, keine Bewegung: eine Station, ein Sidïng? Langsam beginnt der Zug sich zu bewegen und man legt sich wieder hin und lässt sich von den Bewegungen wieder in den Schlaf schaukeln.

Am Morgen, wenn es hell wird, ist man in einer anderen Welt. War die Prärie graubraun und trocken, fährt der Nachtzug durch endlose, grüne Mais-  oder Sojafelder. Der Nachtzug hat die Welt verändert. Und es braucht wieder einen Nachtzug, um auch diese Welt zu verändern

Kommentare

Lieber Res,
Kein Kommentar, aber leider eine traurige Nachricht.
Gion Toni Locher ist gestorben. Am Montag findet die Abdankung in Solothurn statt.
Noch weiterhin gute Reise
Gruss
Christian

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