26.06.2016

Man hätte ja auch fliegen können

Jacksonville—Albuquerque in drei Nächten

1. Etappe: Jacksonville, FL–Washington, D.C.
Am Montag, dem 20. Juni am Abend brachten mich Pat und Bob zur Bahnstation von Jacksonville, FL, einer Stadt mit über 800‘000 Einwohnern. Der Bahnhof hat zwei Gleise, keine Weichen und liegt Meilen ausserhalb der Stadt. In den USA findet man sich früh am Bahnhof ein, kann, wenn man will, das Gepäck einchecken – auch durchgehend – und wartet dann brav bis zum Einsteigen aufgerufen wird, wie im Flughafen, einfach ohne Ganzkörper-Scanning. Ich habe für diesen ersten Abschnitt meiner Reise in den Westen eine sog. Roomette gebucht. Das ist ein Zweier-Abteil, in dem aus zwei Sitzen eine zusammenschiebbare Liege hergestellt wird. Der zweite Liegeplatz wird von oben heruntergeklappt. In diesem einstöckigen Wagentyp hat es in den Roomettes sogar ein WC – man muss allerdings mindestens so schlank sein wie ich, damit man es benutzen kann – und ein Lavabo. Duschen kann man am Wagenende. Und wenn man Schlafwagen hat, ist das Essen – nicht aber das Bier und der Wein – im Preis inbegriffen. So weit, so gut!

Jacksonville FL

Jacksonville, FL

Ein Kollege aus Kanada hat einmal die Couchettes, d.h. die Liegenwagen in Europa, so definiert:  Couchette ist ein originelles Wort, das ein Nichtschlaf-Schlafabteil im Zug bezeichnet. Dasselbe könnte man auch für die Schlafwagen im Silver Meteor Miami—New York sagen. Das liegt vermutlich an mindestens zwei Dingen: dem Zustand des Gleises und an den Drehgestellen. Auf jeden Fall rüttelt und schüttelt es, dass es einem grausen kann. Dann kommt aber noch etwas dazu: In Amerika muss der Lokomotivführer bei jedem Bahnübergang, auch wenn dieser wie die meisten mit Lichtsignalen und Halbbarrieren geschützt ist, hornen, und das nicht zu knapp. Das heisst, dass der Zug mit geschätzten 140 km/h auf rüttelnden Drehgestellen auf einem schlecht verlegten Gleis dahin rast und praktisch ununterbrochen hornt, und das die ganze Nacht durch, da es offensichtlich ganz viele Bahnübergänge gibt. Aufgehört hat das erst gegen morgen in den Vororten von Washington. Entsprechend war mein Zustand zu Beginn der 9-stündigen Wartezeit in Washington, D.C. – darüber berichte ich in einem speziellen Beitrag.

Washington DC

Washington, D.C., Union Station, ein eindrückliches Bauwerk und einer Hauptstadt durchaus würdig

Washington DC

Washington, D.C., Ausblick vom Bahnhof aus

2. Etappe: Washington, D.C.—Chicago, IL
Für diese Strecke habe ich leider kein Schlafwagenabteil buchen können, d.h. die Nacht im Capitol Limited Washington, D.C.—Chicago war in der Coach-Klasse eines Doppeldeckers zu absolvieren. Es gibt schlimmeres. Die Sitze sind bequem. Was fehlt sind einzig Armlehnen zur Abgrenzung des Territoriums gegenüber dem „Partner“ daneben, in meinem Fall eines älteren Herrn mit Schnauzbart und Hut, gut ausgerüstet mit Verpflegung, der auf dem Weg nach Hause irgendwo im Norden von Minnesota war. Es war noch lange hell, sodass die Fahrt durch Maryland, West Virginia, Pennsylvania (Pittsburgh), Ohio und Indiana, im Wesentlichen auf einer südlicheren Route durch die Appalachen, als durchaus ansprechend bezeichnet werden kann. Am Anfang fuhr der Zug im Schneckentempo, sodass der Fahrkomfort kein Thema wurde, später bis in die Nacht hinein dann schnell und offensichtlich auf besserem Gleis und dann am Morgen auf der von mir schon verschiedentlich bereisten Strecke ab Cleveland wieder „rüttliger“. Also ein bisschen habe ich geschlafen und dank der fast stündigen Verspätung wurde der planmässig 6-stündige Aufenthalt in Chicago abgekürzt. In Chicago gingen gerade Gewitter nieder, also liess ich Chicago Chicago sein.

3. Etappe Chicago, IL—Albuquerque, NM
Hier kamen nun die mir bereits bekannten Superliner-Schlafwagen zum Zug. Ich hatte hier wieder eine Roomette, in diesen Wagen aber ohne WC, was ich nicht als Nachteil empfand. Auf guten Gleisen ist die Laufeigenschaft dieser Wagen dank moderneren Drehgestellen hervorragend. Wenn das Gleis schlecht ist, ist da einfach nichts zu machen und das ist auf einigen Teilen dieser Strecke leider der Fall. Dieser Zug, der Southwest Chief Chicago—Los Angeles verkehrt auf der alten Route des Super Chief der früheren Santa Fe. Teile dieser Strecke werden von der Eigentümerin BNSF (die verkürzt ausgedrückt Warren Buffett gehört) mit Güterzügen nicht mehr befahren und deshalb auch nicht mehr oder zumindest zu wenig unterhalten. Auf Teilabschnitten ist der Southwest Chief der einzige Zug – also zwei Züge pro Tag, je einer in jeder Richtung – der da noch verkehrt, zum Beispiel über den Raton Pass. Sobald man lange Güterzüge kreuzt, wenn man also auf der Hauptstrecke der Güterbahn BNSF fährt, fährt der Zug wesentlich schneller und ruhiger. So ist das halt im amerikanischen Schienenpersonen-Verkehr.

Chicago

Chicago Union Station, einer der sehr engen Perrons

Die Fahrt von Chicago Union Station – die Perrons eher einem dürftigen Keller gleichend als Bahnsteigen in einem Bahnhof einer Grossstadt – führt durch die Vororte von Chicago und bis zum Mississippi durch das ländliche Illinois. Der Mississippi wird bei Fort Madison, IA, überquert. Die Linie führt dann durch Missouri mit Sonnenuntergang und erreicht bei Kansas City, das noch in Missouri liegt, den Bundesstaat Kansas, der bis am Morgen in der Prärie zwischen Garden City, KS und, Lamar CO durchquert ist. Weiter führt die Route über La Junta, Trinidad, über den Raton Pass nach Raton in New Mexico (http://www.a-bis-zet.ch/reiseblog2010/archives/831) bis Albuquerque, das am Nachmittag des vierten Tages der Reise erreicht wird, nicht ganz ausgeschlafen, aber in passablem Zustand. Aber eben:

Man hätte ja fliegen können!

Mississippi bei Fort Madison

Mississippi bei Fort Madison

Iowa--Missouri (Fort Madison--Kansas City)

Sonnenuntergang in Missouri (Fort Madison–Kansas City)

La Junta CO --Trinidad CO

Prairie bei La Junta, CO, 1243 m .M.

Raton Pass

Zwei schwer arbeitende Diesellok am Raton Pass. Auf der Nord- bzw. Ostseite ist die Strecke bis zum Tunnel doppelspurig. Die Steigung geht bis 33‰.

Raton NM

Bahnhof Raton, NM

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